„Ach, wie wird´s einem jetzt so bang“ (Tagebuchnotizen zu den Revolutionsjahren 1848/49)
bearbeitet von Georg Karl Rings
Das Tagebuch des Mennonitenpredigers Johannes Goebels (1803-1876), aus Hertlingshausen, dort auch langjähriger Bürgermeister, liefert zu den Revolutionsjahren 1848/49
historisch wertvolle Eintragungen. Das ursprünglich handschriftlich angefertigte Original
ist nicht mehr vorhanden. Die mir vorgelegte Abschrift fertigte in den Dreißigerjahren der
1969 verstorbene Ernst Goebels, aus Chemnitz, ein Mitglied der Goebels Familie. Herr Willi
Walther, Deidesheim, verwahrt diese Abschrift und erteilte mir freundlicherweise die
Erlaubnis für diesen Beitrag. Die handschriftlichen Tagebucheintragungen sind wörtlich übernommen und kursiv geschrieben.
Im Jahre 1848
22. Febr.: Heute fing die französische Freiheitsrevolution an.
24. Febr.: Heute ist der franz (ösische) Freiheitskampf vorüber, fast 2 000 Menschen sind
geopfert und Frankreich zu einer Republik erklärt, was es weiter gibt wollen wir sehen.
9. März: Außerordentliche Dinge hat die Revolution Frankreichs im Gefolge. In allen deutschen Staaten gibt es Volksaufstände und jetzt ist in vielen Staaten der Nationen von seiten
ihrer Herrschaft bewilligt, was sie schon lange Jahre vergeblich gewünscht und verlangt. In
München waren jetzt schon außerordentliche Volksaufläufe, auch die Pfälzer Nation und
Landesstände wollen Abgeordnete nach München schicken und das Verlangen, worum man
schon lange gebeten. Am 5. März waren unsere Landesstände in Neustadt freiwillig zusammengetroffen, um Beschlüsse zu fassen. In München ist vom Volk der Minister Becks fortgejagt pp.
16. März: Heute werden die Landstürmer in den außerordentlichen Angelegenheiten in
München ankommen, von einigen 100 Deputierten begleitet. Was wird es geben?
24. März: Jetzt gehrt aber außerordentliches in der Welt vor. Der Reformkampf geht durch
die ganze Welt. In Oesterreich, in Wien, ist viel Blut geflossen. Schrecklicher noch ist es in
Berlin gegangen, da ein fürchterliches Blutbad zwischen den Bürgern und dem Militär. Man
sagt der König und sein Nachfolger seien ermordet.
3. April: War der Pfarrer da und hatte eine Adresse an den König als Antifranzianer,
die soll unterschrieben werden. Ich unterschreibe nicht! („Antifranzianer“:= Gegner von
Pfarrer Franz in Ingenheim.)
25. April: Heute war in ganz Bayern, Pfalz pp., die Urwahl zum Parlament nach Frankfurt.
Was wird diese Zeit uns noch losen?
17. Juni: Ich schreibe wenig neues, weil es auf dem politischen Gebiet so viel neues gibt.
Jetzt scheint eine Hauptkrisis. Die Monarchien wollen, wie man sagt, wieder am Riemen
ziehen und die Parlamentswerdung vereiteln. Man sagt, die Russen drohen die deutsche
Grenze zu überschreiten pp.
15. Sept.: In Frankfurt wurde vom Parlament der rühmliche Waffenstillstand von 7 Monaten
zwischen Preißen und Dänemark, Schleswig-Hollstein betr., unglaublicherweise angenommen nach Stimmenmehrheit.
18. Sept.: Heute fürchterliches Durcheinander in Frankfurt.
20. Sept.: Zwei Parlamentsabgeordnete sind in Frankfurt im Gefecht gefallen.
13. Nov.: Wien ist unterlegen, welches 150 000 Mann der kaiserlichen Armee entgegenstellte, um die Freiheit zu kämpfen. Unter diesen war Robert Blum aus Leipzig, Mitglied des
Parlaments aus Frankfurt, welcher Anteil am Wiener Kampf nahm und gefangen und standrechtlich erschossen wurde. Viele Tausende sind auf beiden Seiten gefallen. Jetzt scheint es
um die Freiheit Deutschlands geschehen zu sein, die gepriesene.
9. Dez.: Eymann da, der wurde auch zum Landsturm gewählt.
Im Jahre 1849
1. Jan.: Sonst fing dieses Jahr gut an. Was es aber gutes und schlimmes in seinem Schoß verbirgt im allgemeinen oder für jeden insbesondere, das weiß Gott. Aufs Hoffen scheint der
Mensch ganz angewiesen zu sein. Nun so wollen wir denn abermals die Hoffnung und das
Vertrauen zu Gott ergreifen. Ward im vergangene Jahr, welches so großes für das
Völkerwohl verheißen hatte, die Hoffnung durch die Fürsten und ihre Ratgeber auch auf
das schnödeste in vieler Beziehung getäuscht, so vertrauen wir der Vorsehung, dass es in diesem neuen Jahr vielleicht besser gehen wird.
13. Jan.: War ich in Frankenstein. Morgen geht Eymann fort nach München.
24. Jan.: Jetzt ist in Frankfurt beschlossen, dass ein deutscher Kaiser sein soll, was für einer
weiß man noch nicht. O Deutschland!
11. März: Heute kam Eymann retour von München, die Kammer ist verlegt bis 15.
19. April: Die Kammer ist vertagt bis 15. Mai. Wohin die Fürstenlaunenführen?
2. Mai: Heute in Kaiserslautern. Da waren mindestens 8 000 Menschen versammelt. Die Ursache ist, dass der König die Frankfurter Beschlüsse durchaus nicht annehmen will und
die ganze vorjährige Revolution ist fruchtlos. Trotz aller Zugeständnisse der Fürsten haben
sich, wie es scheint, verbunden die Volkssouveränität ganz zu unterdrücken. Wie staunte ich,
als ich in Kaiserslautern von Republik, von Gewaltschritten, hörte, die ich nicht begreife,
wie sie durchgeführt werden sollen. Die nächste Zukunft dürfte uns vieles losen.
Landesverteidigungsschutz wurde festgesetzt und permanent erklärt. Ich möchte nicht teilnehmen.
10. Mai: Es werden alle Tage dringende Aufforderungen von der Landesverteidigung erlassen zu den Waffen zu greifen. Preußen wollten in die Festung Landau. Nur nicht Waffen!
13. Mai: Jetzt soll alles exerzieren, von 18 bis 60 Jahren. Allgemeines Lamento, besonders in
unserem Eck, weil die Leute nicht wissen, wie es in der politischen Weit steht. Gott helfe.
15. Mai: Erhielt Einladung nach Lautern, zu dem Landesausschuß, da geht es gewiß um
Geld.
16. Mai: Heute war ich in Kaiserslautern. Da waren alle wohlhabenden Pfälzer und es wurde
beraten, wie man Geld herbeischaffe, die Kosten der Landesverteidigung zu decken und es
wurde beschlossen, die halbe Gesamtsteuer in 2 Raten in 8 Tagen zu entrichten. Jetzt sieht
es sehr ernst aus. Das Militär in Landau und Zweibrücken desertiert all und will die Sache
des Volks verteidigen helfen. Ich kam spät 12 Uhr durchnässt nach Hause. O Gott!
17. Mai: Christi Himmelfahrt: Heute wurden die Menschen in außerordentlichen Alarm
oder besser in Angst versetzt. Eine Aufforderung, dass durch Sturmgeläute zu den Waffen
und zum Kampf gerufen werden soll. Glücklicherweise wurde widerrufen. In Kaiserslautern
wurde heute eine provisorische Regierung eingesetzt; das hätte ich nicht getan.
24. Mai: Ach wie wird’s einem jetzt so bang. Es kommen alle Tage Order, dass Sensen und
Waffen angeschafft werden sollen. Wie lebten wir doch vorher so ruhig. Nehme doch unser
König etwas von der Sache an.
25. Mai: Kam die Schreckenspost, dass die Buben nach Grünstadt sollen. Ach Gott helfe uns.
28. Mai: Eymann kam von München am Samstag. Wird er Gutes gebracht haben?
29. Mai: Eymann kam krank von München retour. Brachte nichts Tröstliches.
3. Juni: War der Christian da, sagte, dass gestern von Soldaten ein Fuhrmann in Frankenstein erschossen wurde. Schrecklich. Eymann ist sehr krank.
10. Juni: War ich in Frankenstein. Eymann krank ohne Besserung, hörte ich, dass Preußen in
Homburg sind. Gottlob jetzt wird doch das Treiben bald aufhören. So sehr ich für den
Fortschritt bin, verachte ich doch die unsinnigen und blutigen Anschläge dieser Treiber.
11. Juni: Jetzt soll der Landsturm aufgeboten werden, in allen Gegenden gestürmt werden,
auf allen Bergen Feuer angezündet. Gott was wird das werden. Wohin werden diese
Menschen uns bringen.
12. Juni: Diesen Morgen kamen Leute vom Lande, die flüchtig gingen, die sich dem
Exerzieren widersetzten und von den Treibern sehr interessiert wurden. Die Leute waren
ganz durchnässt. Kamen mit scheuem Blick ins Haus, etwas zu essen. Wie dauerten mich
diese Menschen. Es waren als noch keine Retter da. Ich riet ihnen, als sie meinen Rat verlangten, sich vorderhand nicht unglücklich zu machen und sich zufügen, bis pp.
Am 12. Juni 1948 enden diese hochinteressanten Tagebucheintragungen, die am 18. April
1839 begonnen wurden. Ein knappes Jahrzehnt liefern diese Notizen von Johannes Goebels
Einblicke in seine eigene Familie, zur Verwandtschaft und anderen Familien, auch zu unserer Rings Familie. Warum das Tagebuch über den 12. Juni 1849 hinaus nicht weitergeführt
wurde, ist unbekannt.
Peter Eymann, Bürgermeister aus Frankenstein
Dieser Beitrag wäre unvollständig, wenn eine Lebensbeschreibung zum mehrfach erwähnten Eymann fehlen würde. Hinter „Eymann“ verbirgt sich Peter Eymann aus Frankenstein,
geboren am 13. November 1789 auf der Lohmühle, Ältester von 10 Geschwistern, Sohn des
Mennonitenpredigers Johannes Eymann, von der Lohmühle (bei Alsenbrück), und dessen
Ehefrau Elisabeth Würtz, vom Münchhof (Hochspeyer). Pfingsten 1810 verheiratet sich
Peter Eymann mit Elisabeth Engel aus Diemerstein. Ökonom bis 2. Februar 1811 auf dem
Wackenbomerhof (bei Höringen), verkaufte diesen Hof und zog auf die Mühle in Diemer
stein (Frankenstein).
Am 10. Juni 1828 starb seine Ehefrau Elisabeth. Im Herbst 1828 verheiratete er sich zum
zweiten Male mit Susanna Goebels, aus Hertlingshausen. Sein einziges Kind aus erster Ehe,
Tochter Elisabeth, heiratet am 30.12.1847 Christian Goebels, aus Hertlingshausen, Sohn
des Predigers Johannes Goebels und dessen Ehefrau Magdalena Eymann. Die Familien
Eymann und Goebels waren sowohl verwandt als auch verschwägert.
Peter Eymann war ein begabter Mann. In fast allen Fächern menschlichen Wissens be- wandert, ohne besondere Schulbildung. Er besuchte nur die Dorfschule. Schon früh zeigte sich große Wissbegierde, ein wahrer Wissensdurst. Welches Fach er auch ergriffen hätte, ein gründlicher Forscher und Gelehrter wäre aus ihm geworden. Besonders Geschichte und Geographie zogen ihn an.
1833 wurde er Bürgermeister von Frankenstein und bekleidete dieses Amt mit einer
Unterbrechung von drei Jahren bis an sein Lebensende 1855. Mit Politik beschäftigte er sich
besonders gerne. In politischer Beziehung war er einer freien Richtung zugetan. Sein Ideal
war eine republikanische Verfassung. Das Volk Nordamerikas bewunderte er. Den friedlichen Eroberungszug bis ans Stille Weltmeer im äußersten Westen sagte er lange Jahre voraus, ehe man etwas von Kalifornien wusste. Bei seiner Offenheit verleugnete er nie seine
republikanische Gesinnung, ohne dadurch irgendwie anzustoßen oder zu verletzen, oder
jemals in Konflikt zu kommen mit obrigkeitlichen Behörden.
In den Jahren 1848/49 waren allerdings die Zustände in Deutschland so angetan, dass es
schien, als ob das republikanische Prinzip in den Staaten zur Ausführung komme. So ließ er
sich wie tausend und abertausend andere hochstehende Männer von der revolutionären
Strömung fortreißen. Der gute Eymann meinte immer, auch auf politischem Gebiet sei
Wert und Beispiel hinreichend, die wilden Auswüchse niederzuhalten und die rohen
Pöbelmassen ausschließlich für ein edles Ziel zu bestimmen. Wegen seiner freien
Gesinnung einerseits, sowie seines edlen Charakters wegen, wurde er dann auch der Mann
des Volkes in sturmbewegter Zeit. Als erstem Mennoniten der Pfalz wurde ihm die Ehre
zuteil, für den Bezirk Kaiserslautern-Kirchheimbolanden als Abgeordneter in die
Ständekammer nach München gewählt zu werden.
Im Januar 1849 ward der Landtag eröffnet. Eymann gab sich bei der Ablegung des Eidesschwurs als Mennoniten zu erkennen. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, als der Staatsminister statt des Eidschwurs Eymann bloß das Handgelöbnis abnahm. Auf kurze Zeit
wurde der Landtag vertagt. Dann ging er nochmals nach München. Als man aber in München erfuhr, dass am 15. Mai 1849 in der Pfalz die Republik proklamiert wurde, „da gingen uns die Haare zu Berg. Es war für uns Pfälzer Abgeordnete nicht mehr zum Aushalten“,
so Eymann. Am 29. Mai wurde der Landtag aufgelöst. Gebrochen an Körper und Geist kehrte er aus München zurück. Er lag schwer krank danieder, als die preußischen Truppen die Pfalz durchzogen und die monarchiche und gesellschaftliche Ordnung wiederherstellten.
Am 16. März 1855 wurde Eymann auf dem kleinen Friedhöfchen in Diemerstein beerdigt.
Zuvor fand in der protestantischen Kirche zu Frankenstein ein Trauergottesdienst statt. Die
Predigt hielt dort sein Schwager, der Mennonitenprediger Johannes Goebels, von
Hertlingshausen. Sein Text: Röm.12,32, „Gott hat alles beschlossen unter dem Unglauben,
auf dass er sich aller erbarme“.
Quelle: Heimatjahrbuch des Kreises Bad Dückheim Jahrgang 2000, S.257 ff. |